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Alternativen zu gängigen Modellierungsumgebungen und Unterstützungsmöglichkeiten für Lernende in Selbstlernsituationen.Werner Walser 4. Qualitative und quantitative Modellbildung
Ossimitz weist in seinem Konzeptpapier daraufhin, daß beim Einsatz der Modellbildung in der Schule die qualitative Betrachtung nicht von der quantitativen Betrachtung getrennt werden kann. Als qualitativen Aspekt der Modellierung bezeichne ich im folgenden die Identifizierung der Systembestandteile und die Definition der Informationsbeziehungen. Als quantitativen Aspekt bezeichne ich die Zuordnung einer Gleichung zu einem Systemelement. Meine Hypothese ist, daß systemisches Denken in erster Linie durch die Beschäftigung mit der qualitativen Analyse von Systemen entsteht. Die quantitative Modellierung ist etwas, das eher einen lokalen Charakter auf niedrigem Abstaktionsniveau hat. Wenn diese Hypothese zutrifft, ergibt sich hieraus die Konsequenz, daß Modellbildungssysteme Komponenten benötigen, die die qualitative Analyse stärker unterstützen. Interessanterweise hat in der Softwareentwicklung inzwischen eine ähnliche Betrachtungsweise Bedeutung erlangt, nämlich die objektorientierte Analyse . Bei der Beschreibung der objektorientierten Analyse wird das Begriffspaar "qualitative Betrachtung - quantitative Betrachtung" zwar nicht benutzt, bei genauerer Betrachtung sieht man aber, daß auch dort versucht wird, im ersten Schritt der Analyse eines Systems zuerst dessen wesentlichen Bestandteile zu identifizieren, ohne sich um deren inneren Strukturen zu kümmern. Dies entspricht in der Modellbildung der qualitativen Modellierung. Ein Bestandteil eines Systems, in diesem Fall ein Objekt, wird aufgefaßt als eine Einheit aus den charakteristischen Daten und den Verhaltensmöglichkeiten. Erst in späteren Schritten der Analyse werden die inneren Strukturen der Objekte beschrieben. Dies entspricht der quantitativen Modellbildung. Auch die Werkzeuge zur objektorientierten Analyse folgen diesem Ansatz. Mit dem Buch von Coad wird ein Programm vertrieben, das in seinen Grundstrukturen einem Modellbildungssystem mit grafischer Repräsentation entspricht. Für den Prozeß der Modellierung dynamischer Systeme sehe ich in Analogie zum Ansatz der objektorientierten Analyse von Coad folgende Schritte:
Bei den gängigen Modellbildungssystem wird der Modellbildungsprozeß nicht durchgängig unterstützt. Dies ist zwar zuerst nur ein technisches Manko, hat aber zur Folge, daß von Schritt Zwei nicht zu Schritt Eins zurückgegangen werden kann. Letztlich befindet man sich in Modellbildungssystemen ohne Teilmodelle immer auf der untersten Ebene eines Modells. Ausgehend von der obigen Hypothese sollte nach Möglichkeiten gesucht werden, den qualitativen Aspekt der Modellbildung stärker in den Vordergrund zu heben. Sobald Teilmodelle zur Verfügung stehen, ist eine gewisse Annäherung an die Betrachtungsweise der objektorientierten Analyse möglich. Trotzdem ist auch diese Möglichkeit, wie sie z.B. im Modus zur Verfügung steht, noch unzureichend. Dies hat zwei Ursachen:
CASE-Tools in der Softwareentwicklung zeigen, daß ein Modellierungsprozess durchgängig durch Software unterstützt werden kann. Wesentlich hierbei ist, daß die Betrachtungsebene - oder besser gesagt die Abstraktionsebene - zu jedem Zeitpunkt gewechselt werden kann. Am Beispiel des Räuber-Beute-Modells soll veranschaulicht werden, wie dies aussehen könnte: Im ersten Schritt wird das Modell auf hohem Abstraktionsniveau beschrieben:
Durch dieses Bild wird ausgedrückt, daß das Räuber-Beute-System aus zwei Teilsystemen besteht, die in einer gegenseitigen Informationsbeziehung stehen. Diese Erkenntnis wiederum ist m.E. der wesentliche Schritt des "systemischen Denkens". Durch die Verbindung der beiden Objekte durch gerichtete Linien werden in diesen automatisch Ein- und Ausgänge erzeugt. Im zweiten Schritt werden die beiden Hauptkomponenten beschrieben. Hierzu kann jede Komponente mit der Maus geöffnet werden. Das Objekt Beute könnte dann wie folgt modelliert werden:
Nun kann das Modell wahlweise auf der ersten Abstraktionsebene oder als Gesamtmodell dargestellt werden. Im letzten Fall entfallen die Parametersymbole automatisch. Die Darstellung entspricht dann mit Ausnahme des Rückkopplungssymbols der Darstellung in Modus. Durch dieses Vorgehen wird erreicht, daß die strukturellen Beziehungen innerhalb eines Modells klarer in den Vordergrund treten.
Mit dieser Methode ist aber ein zweiter Vorteil verbunden. Nehmen wir
an, daß nach der Modellierung des Räuber-Beute-Modells ein Modell
über das Öko-System, innerhalb dessen das Räuber-Beute-System
betrachtet wurde, erstellt werden soll. Dann stellt das Räuber-Beute-System
innerhalb des neuen Modells lediglich ein Objekt neben anderen dar. Die
Abstraktionsebene hat sich, bildlich gesagt, um eins nach oben verschoben.
Damit wird in der Modellbildung ein neuer Begriff, der das Begriffspaar
qualitativ und quantitativ in sich vereint, zugänglich, nämlich
die Abstraktionsebene. Diesen Begriff halte ich im Kontext des "systemischen
Denkens" für grundlegend.
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